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Nicht der «Bruder des Todes», sondern ein Helfer des Lebens

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«Die Wachen haben eine gemeinsame Welt; im Schlafe wendet sich jeder seiner eigenen zu», befand der griechische Philosoph Heraklit von Ephesos, für den Schlaf eine Zwischenstufe zwischen Wachen und Tod war. Schlaf ist eine der wichtigsten Verhaltensformen von Mensch und Tier, doch wir wissen noch immer nicht, warum wir schlafen. Selbst zweieinhalb Jahrtausende nach Heraklit bleibt Schlaf eines der grossen ungelösten Rätsel der Biologie. Schlaf verringert die Reaktion auf Umweltreize, führt zu charakteristischen elektrischen Gehirnsignalen und lässt sich, im Gegensatz zu Ohnmacht oderWinterschlaf, leicht beenden. Verhindert man ihn, so entwickeln Menschen und Tiere ein Schlafdefizit, das sie so bald wie möglich durch längeres und intensiveres Schlafen zu tilgen versuchen. Da selbst Skorpione, Fliegen und Küchenschaben diesem Schlafgebot gehorchen, dürfte es sich bereits vor mehr als einer halben Milliarde Jahre entwickelt haben.

Zwei Regelkreise

Doch woraus hat es sich entwickelt? Wahrscheinlich aus der jedem Lebewesen innewohnenden Tag-Nacht-Uhr, die Stoffwechsel und Verhalten an die Umdrehung der Erde koppelt. Diese Tag-Nacht-Uhr findet sich bereits in einfachen Bakterien und ruft sich jedes Mal in unser Bewusstsein, wenn wir mehrere Zeitzonen überflogen haben und deswegen am helllichten Tag todmüde sind. Das Herzstück dieser Uhr ist ein dicht gepacktes Nervenbündel tief in unserem Gehirn, in dem sich Gene im 24,4-Stunden- Takt gegenseitig an- und abschalten und so den Ausstoss von Schlafhormonen aus dem Gehirn steuern. Diese «Zentraluhr» tickt zwar etwas langsamer als ein Tag-Nacht-Zyklus, wird aber  durch Lichtsignale aus unseren Augen täglich neu auf einen 24-Stunden-Zyklus eingestellt. Unsere Tag-Nacht-Uhr ist dafür verantwortlich, dass wir nachts schlafen und tagsüber aktiv sind.

Das Ausmass unseres Schlafbedürfnisses wird jedoch durch einen zweiten Regelkreis gesteuert, von dem wir noch sehr wenig wissen. Er bestimmt, dass ein neugeborenes Menschenkind bis zu 17 Stunden täglich schläft, ein sechsjähriges Schulkind 9 bis 11 Stunden und ein Erwachsener durchschnittlich 7 bis 9 Stunden. Im Alter wird das Schlafbedürfnis nicht geringer, doch der Schlaf ist meist leichter und wird öfters durch Wachperioden unterbrochen. Da in unserer westlichen Gesellschaft nur etwa jeder zweite Erwachsene sein Schlafpensum erfüllt, leiden viele Menschen an chronischem Schlafdefizit. Dieses beeinträchtigt Kommunikations-, Entscheidungs- und Lernfähigkeit, den Hormonstoffwechsel sowie die Wirksamkeit des Immunsystems.

Bei Bienen führt Schlafentzug zu Unregelmässigkeiten im Tanz, der den Stockgenossinnen die Flugrichtung zu einer Futterquelle weist. Für Mensch und Tier sichert Schlaf also die Lebenskraft. Ein Schlafentzug von 2 bis 3Wochen ist für Ratten und Fliegen tödlich, wobei die TiereWunden entwickeln und ihr Futter nicht mehr verwerten können. Es gibt aber keine gesicherten Hinweise dafür, dass längerer Schlafentzug auch für Menschen tödlich ist. Das Schlafbedürfnis ist von Mensch zu Mensch stark verschieden und dürfte zum Teil von Genen gesteuert sein: Genetisch identische eineiige Zwillinge gleichen sich in ihren Schlafgewohnheiten und der Art ihres Schlafes, während dies für zweieiige Zwillinge nicht zutrifft.

Nur etwa 5 Prozent aller Menschen kommen langfristig mit 6 Stunden Schlaf aus. Vor einigen Jahren fanden Forscher jedoch eine kleine Familie, in der sowohl die Mutter als auch die Tochter nur 6,5 Stunden, die anderen Familienmitglieder hingegen die üblichen 8 Stunden schliefen. In Mutter und Tochter war ein Gen verändert, das die Forscher «DEC2» tauften. Pflanzt man diese menschliche Genvariante Mäusen ein, verringert sie auch deren Schlafbedürfnis. Ein dem DEC2 eng verwandtes Gen findet sich auch in Fruchtflie gen, bei denen es Teil der Tag-Nacht- Uhr ist. Deswegen vermuten Forscher, dass der Regelkreis für das Schlafbedürfnis sich aus der Tag-Nacht-Uhr entwickelt hat. Vielleicht war es für unsere fernen biologischen Vorfahren von Vorteil, dank diesem neuen Regelkreis die strenge Diktatur der Tag- Nacht-Uhr kurzfristig unterlaufen zu können.

Das Schlafverhalten von Mensch und Tier wird aber nicht nur von DEC2 allein, sondern sehr wahrscheinlich von Dutzenden oder Hunderten von Genen gesteuert. Zwei von ihnen beeinflussen in Fliegen die elektrische Signalübertragung in Nervenzellen. Verändert oder zerstört man diese Gene, verringert sich das Schlafbedürfnis der Fliegen – unter Umständen so sehr, dass völlige Schlaflosigkeit eintritt. Die Entdeckung von «Schlafgenen» hat zwar die Tür zum Geheimnis des Schlafes einen Spaltbreit geöffnet, doch es wird wohl noch lange dauern, bis wir alle am Schlaf beteiligten Gene aufgespürt haben und ihre Wirkungsweise verstehen. Wissenschaft ist jedoch geduldig; hat sie einmal ihren Fuss in einer Tür, lässt sie nicht mehr locker, bis sie diese ganz geöffnet und die von ihr gehüteten Geheimnisse gelüftet hat.

Meeresbewohnende Säugetiere und Vögel schlafen abwechselnd mit nur einer Gehirnhälfte. Wale und Delphine können so auch während des Schlafes zum Atemschöpfen auftauchen und einige Vögel wahrscheinlich auch während des Fluges schlafen. Dabei öffnen diese Tiere nur das Auge, das mit der jeweils wachen Gehirnhälfte verbunden ist. Schlafende Delphine richten es gegen das Innere des Rudels, vielleicht um zu verhindern, dass einzelne Mitglieder es verlassen und in Gefahr geraten.

Warum?

Die meisten Tiere schlafen jedoch mit beiden Gehirnhälften und sind dabei vermehrt Bedrohungen ausgesetzt. Warum hat die Evolution dieses gefährliche Verhalten nicht ausgemerzt? Könnte es sein, dass unser Gehirn seine Energiereserven im Schlaf wieder aufstockt? Es ist unser energiehungrigstes Organ: Obwohl es nur 2 Prozent unseres Körpergewichts ausmacht, verbraucht es 20 Prozent unserer Körperenergie. Dieser Erklärung steht allerdings entgegen, dass der Energieverbrauch unseres Gehirns während der Schlafphase, in der wir am häufigsten träumen und unsere Augen hinter geschlossenen Lidern lebhaft bewegen, nicht absinkt, sondern ansteigt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass das schlafende Gehirn schädliche Stoffwechselprodukte, die sich während des Wachens anhäufen, wieder entfernt. Im Schlaf vergrössert sich der Abstand zwischen den Gehirnzellen, was eine Spülung des Gehirns durch zirkulierendes Nervenwasser erleichtern könnte.

Die interessanteste Erklärung für das Schlafbedürfnis ist jedoch, dass ein schlafendes Gehirn imWachzustand Erlebtes wiederholt und konsolidiert, Nebensächliches hingegen löscht und so Platz für neue Erinnerungen schafft. Wenn wir etwas erleben oder lernen, bilden die Nervenzellen unseres Gehirns untereinander neueVerknüpfungen aus, die sie dann mit jederWiederholung des Erlebten oder Erlernten verstärken. Erlernt eine Ratte das Durchlaufen eines Labyrinths, tauschen in ihrem Gehirn Hunderte von Nervenzellen in einem bestimmten Rhythmus elektrische Signale aus und speichern so die Weg-Information. Schläft die Ratte dann, wiederholen die gleichen Nervenzellen das gleiche Zwiegespräch im gleichen Rhythmus immer und immer wieder – und teilweise viel schneller als imWachzustand. Am nächsten Morgen erinnert sich das ausgeschlafene Tier an das Gelernte und durchläuft das Labyrinth ohne Mühe. Weckt man es jedoch während des Konsolidierungsprozesses, vergisst es denWeg.Versuche an Menschen sind zwar weniger eindeutig, sprechen aber dennoch dafür, dass Schlaf es auch unserem Gehirn erlaubt, das imWachen erworbene Wissen entweder zu löschen oder langfristig zu speichern.

Geheimnisvolles Dunkel

Und wie steht es mit unseren Träumen? Sie beflügeln seit Urzeiten unsere Phantasie und bergen auch heute noch viele Rätsel. Siegmund Freud sah in ihnen einen Versuch, unbewältigte Erlebnisse und Sehnsüchte zu verarbeiten. Vielleicht entspringen sie aber nur zufälligen elektrischen Nervensignalen, die uns irrationale und phantastische Vorgänge vorspiegeln, welche unser Grosshirn dann so gut wie möglich zu einer zusammenhängenden Geschichte verarbeitet. Schlaf ist ein Zufluchtsort, den wir oft herbeisehnen, wenn dasWachen uns bedrückt. Und das Niemandsland zwischen Wachen und Schlafen kann uns die Welt in wundersamer Verwerfung widerspiegeln und unerwartete Zusammenhänge offenbaren.Wird das Dunkel dieser Zufluchtsorte bald dem hellen Licht der Wissenschaft weichen müssen? Der renommierte Schlafforscher William Dement bezweifelt dies mit folgenden Worten: «Soweit ich weiss, gibt es nur einen einzigen wirklich gesicherten Grund, warum wir schlafen müssen: Wir werden schläfrig.» – Das Reich des Schlafs wird sein geheimnisvolles Dunkel wohl noch lange bewahren.


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